Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Ich sehe sie beide vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewusstsein meiner Existenz.
Immanuel Kant (1724 – 1804) in: Kritik der praktischen Vernunft, Riga 1788, Kapitel 34, Beschluß
Josef Albers: Hommage to the Square 1969 / Foto:(c) wak
Ich glaube, die Kunst steht in Parallele zum Leben. Farbe verhält sich in meinen Augen wie ein Mensch – auf zwei unterschiedliche Weisen: einmal als Selbstverwirklichung und dann als Verwirklichung der Beziehung zu anderen… Mit anderen Worten, man muss es verstehen, ein Individuum zu sein und zugleich ein Mitglied der Gemeinschaft.
Kruzifix aus dem Mittelrhein-Gebiet um 1200 / Foto: (c) wak
Erstmals denke ich: Ich – nicht nur: man – ich könnte an ein Kreuz glauben. Es steht nicht für die Inkarnation in nur einem Menschen, es steht für die Inkarnation als ein Prinzip.
Gewöhnlich schlagen Bildhauer etwas weg, nehme ich an, so daß Späne entstehen oder Splitter. Oder sie fügen, um Formen zu schaffen, etwas hinzu, Ton zum Beispiel. Speziell ein Kreuz bedarf gewöhnlich zweier Hölzer, eines längs, eines quer, und wurde deshalb für die islamischen Mystiker zum Symbol gerade nicht für ein Göttliches, sondern für die Welt: Die vier Arme erinnerten sie daran, daß die Welt aus den vier Elementen zusammengesetzt und daher, wie die antike Wissenschaft lehrt, vergänglich ist – denn nichts Zusammengesetztes habe Bestand, nur das Einfache.
Navid Kermani in „Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“, München 2015
Wenn man der Wirklichkeit des Selbst tägliche Beachtung schenkt, so ist es, als ob man auf zwei Ebenen leben müsste, indem man zwar wie zuvor seine Aufmerksamkeit den Aussenweltsaufgaben widmet, zugleich aber auf alle Winke und Zeichen in Träumen und Ereignissen achtet, durch die das Selbst seine Absicht und die Richtung, wohin der Lebensstrom tendiert, kundtut. Alte chinesische Texte, die diese Art von Einstellung schildern, benützen das Bild einer Katze, die vor einem Mauseloch wartet. Die Aufmerksamkeit, so heisst es, soll nicht zu gespannt und nicht zu lau sein.
C.G. Jung (1875 – 1961) in: Der Mensch und seine Symbole. Kapitel: Beziehung zum Selbst, Solothurn / Düsseldorf, 1968, S. 212
Die Poesie der Mystik könnte einerseits als eine temperamentvolle Reaktion auf die Vision der Wirklichkeit definiert werden: andererseits als eine Form der Prophetie. Wie es die besondere Berufung des mystischen Bewusstseins ist, zwischen zwei Ordnungen zu vermitteln, indem es in liebender Anbetung zu Gott hinausgeht und nach Hause kommt, um anderen Menschen die Geheimnisse der Ewigkeit zu erzählen, so hat auch der künstlerische Selbstausdruck dieses Bewusstseins einen doppelten Charakter. Es ist Liebesdichtung, aber Liebesdichtung, die oft in missionarischer Absicht geschrieben ist.
Evelyn Underhill (1875 – 1941) in ihrer Einleitung zu „The Songs of Kabir“, 1915
Ohne Bestand sind auch, die wir Elemente benennen. Was für Wechsel sie trifft, – merkt auf – ich will es verkünden. Vier Grundstoffe bewahrt, die alles erzeugen, des Weltalls Ewiger Bau. Zwei haben Gewicht: mit der Erde die Welle, Die gehn nieder zum Grund, von der eigenen Schwere gezogen. Ebensoviel sind ohne Gewicht und streben zur Höhe, Frei vom Drucke: die Luft und, reiner als jene, das Feuer. Daraus, wenn sie getrennt auch sind, nimmt seine Entstehung Alles, in sie fällt alles zurück. Das zersetzete Erdreich Löst sich in flüssiges Naß, und das flüchtig gewordene Wasser Schwindet in Dunst und Luft, und wieder, enthoben der Schwere, Schwingt sich die dünneste Luft in die Höhe zum feurigen Aether. Dann geht wieder der Weg rückwärts in der nämlichen Folge. Denn in die trägere Luft geht über verdichtetes Feuer; Wasser entsteht aus der Luft; zum Erdreich ballt sich die Welle.
Publius Ovidius Naso / Ovid (+ um 17 u.Z.) in: Metamorphosen. Übertragung von Johann Heinrich Voß (1798)
Auf dem Weg zur Wahrheit macht der Mensch zwei Schritte vorwärts und einen rückwärts. Die Leiden, die Sünden, die Langeweile des Lebens werfen ihn zurück, aber der Durst nach Wahrheit und der feste Wille treiben ihn vorwärts, immer vorwärts. Und wer weiß? Vielleicht erreicht er einmal die ganze Wahrheit.
Anton Tschechow (1860 – 1904) in: Das Duell / Ein Zweikampf, 1891