Ein Hauch der Sache selbst

M y s t i k

Wenn es denn etwas gibt, was sich mit Mystik nicht verträgt, ist es die Geschichte der Mystik – und doch, wer will ausschließen, daß im Reden über etwas, das bloßes Darüber-Reden eigentlich verbietet, ein Hauch der Sache selbst vergegenwärtigt?

Peter Sloterdijk (* 1947) in: Wer noch kein Grau gedacht hat. Eine Farbenlehre. Berlin 2022, S. 231

Goethes „Sorge“

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Kehre nicht in diesem Kreise
Neu und immer neu zurück!
Laß, o laß mir meine Weise,
Gönn’, o gönne mir mein Glück!
Soll ich fliehen? Soll ich’s fassen?
Nun, gezweifelt ist genug.
Willst du mich nicht glücklich lassen,
Sorge, nun so mach’ mich klug!

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

Fremd und doch urvertraut

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Wer gewöhnt ist, unreflex, doch aufmerksam zu achten auf die Weise seines Gebets und der im Gebet kommenden Antwort, der wird finden, dass viele dieser Antworten sein eigenes bewusstes Wissen sprengen, und als Neues, Größeres, bisher Unbekanntes sich zeigen. …
Nenne man es, wie man wolle. Jeder von uns macht die Erfahrung, dass zumindest bisweilen, in entscheidenden Lagen, eine „Stimme“ zu ihm spricht, die er als fremd und doch urvertraut erlebt.

Selma Polat in: Luise Rinsers Weg zur mystischen Religiosität

Der ganze Beitrag von Selma Polat kann hier gelesen werden:

XII. MAGISCHE BLÄTTER BUCH | WINTER
CIII. Jahrgang Winter 2022 / 2023 | Spuren (November | Heft 34)

EINZELBUCH, 364 Seiten, 20,00 € (zuzüglich Versandkosten)
ISBN-Nr. 978-3-948-5941-5 2

Herausgeber: Verlag Magische Blätter – Ronnenberg | Schriftleitung: Organisation zur Umwandlung des Kinos

Bestellungen hier: kontakt@verlagmagischeblaetter.eu subject: BESTELLEN MAGISCHE BLÄTTER BUCH XII

Wahrhaft lautes Denken

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Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, mein lieber, sinnreicher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen. Es braucht nicht eben ein scharfdenkender Kopf zu sein, auch meine ich es nicht so, als ob du ihn darum befragen solltest: nein! Vielmehr sollst du es ihm selber allererst erzählen.

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Ein solches Reden ist wahrhaft lautes Denken. Die Reihen der Vorstellungen und ihrer Bezeichnungen gehen nebeneinander fort, und die Gemütsakte, für eins und das andere, kongruieren. Die Sprache ist alsdann keine Fessel, etwa wie ein Hemmschuh an dem Rade des Geistes, sondern wie ein zweites mit ihm parallel fortlaufendes, Rad an seiner Achse.

Heinrich von Kleist (1777 – 1811) in: Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden (1805)

Geteilte Welten in Christus transzendieren

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Wenn ich in mir das Denken und die Frömmigkeit der östlichen und westlichen Christenheit, der griechischen und lateinischen Väter, der Russen mit den spanischen Mystikern vereinige, kann ich in mir die Wiedervereinigung der getrennten Christen vorbereiten. Von dieser geheimen und unausgesprochenen Einheit in mir selbst kann schließlich eine sichtbare und manifeste Einheit aller Christen entstehen. Wenn wir zusammenbringen wollen was geteilt ist, können wir dies nicht tun, indem wir eine Spaltung über die andere stülpen oder die eine Spaltung in die anderen. Wenn wir das aber tun, ist die Vereinigung nicht christlich. Sie ist politisch, und zu weiteren Konflikten verdammt. Wir müssen alle geteilten Welten in uns enthalten und sie in Christus transzendieren.

Thomas Merton (1915 – 1968) in „Conjectures of a Guilty Bystander“