Mystik aktuell: Editorial | Update 02_2021

„Wann, wenn nicht Jetzt“ heißt es im Untertitel des Blogs „Mystik aktuell“. Ganz so, wie es Sosan um 600 formuliert hat: „Der Weg ist jenseits von Sprache, denn auf ihm gibt es kein Gestern, kein Morgen, kein Heute.“

Werner Anahata Krebber | Foto: privat

Auf dem sprituellen Weg können Texte aus der mystischen Tradition wie aus der Gegenwart Begleiter sein, die eigene Verortung neu zu buchstabieren oder zu vertiefen. Dabei greife ich für den Blog „Mystik aktuell“ neben eigenen Beiträgen auf Quellen zurück, die weit über die eigene spirituelle Herkunft hinausgehen neue Zugänge ermöglichen können: interreligiös, interspirituell, transkonfessionell, interkulturell. Stammen sie geographisch oder spirituell auch von weit her, so können sie Anstoß, Anregung, Ansprache sein – immer neu sind sie danach zu befragen, welche Bedeutung sie für jede/n Einzelne/n haben. Jetzt. Und auch so, wie es Robert Musil (1880 – 1942) in seinem „Mann ohne Eigenschaften“ formuliert hat:

Ich sehe mir den heiligen Weg
mit der Frage an,
ob man wohl auch
mit einem Kraftwagen auf ihm fahren könnte!

In diesem Sinne viel anregende Lektüre!

Werner Anahata Krebber im Februar 2021

Täglich mehr hier: https://mystikaktuell.wordpress.com/

Wir sind hier, weil es letztlich kein Entrinnen vor uns selbst gibt… ~ Die unbekannte mystische Quelle des Richard Beauvais

Screenshot der nur noch im Internet-Archive zugänglichen ehemaligen Homepage von Daytop (web.archive.org/web/20160122104012/http://www.daytop.org/philosophy.html)

„Wir sind hier, weil es letztlich kein Entrinnen vor uns selbst gibt…“ – So beginnt ein Text, der mich seit vielen Jahren begleitet. Zuerst fand ich ihn auf der Seite einer psychosomatischen Klinik: (www.dr-reisach-kliniken.de/leitbild.html). Als Autor wurde und wird Richard Beauvais (1938 – 2019) genannt.

Später erst fand ich den Text mit Ergänzungen, mit einem Vorspann und einem Zwischentext. Zugeschrieben wird er an manchen Quellen der Benediktinerin Hildegard von Bingen (1098 – 1179). Und so entsteht ein spirituelles Mixtum Compositum, das es in sich hat:

Wir müssen auf unsere Seele hören, wenn wir gesund werden wollen. / (HvB  zugeschrieben)

Wir sind hier, weil es letztlich kein Entrinnen vor uns selbst gibt.
Solange der Mensch sich nicht selbst in den Augen und Herzen seiner Mitmenschen begegnet, ist er auf der Flucht.
Solange er nicht zulässt, dass seine Mitmenschen an seinem Innersten teilhaben, gibt es für ihn keine Geborgenheit.
Solange er sich fürchtet, durchschaut zu werden, kann er weder sich noch andere erkennen – er wird allein sein. / HvB fälschlich zugeschrieben +RB

Alles ist mit Allem verbunden / HvB zugeschrieben

Wo können wir solch einen Spiegel finden, wenn nicht in unseren Nächsten?
Hier in der Gemeinschaft kann ein Mensch erst richtig klar über sich werden und sich nicht mehr als den Riesen seiner Träume oder den Zwerg seiner Ängste sehen, sondern als Mensch, der – Teil eines Ganzen – zu ihrem Wohl seinen Beitrag leistet.
In solchem Boden können wir Wurzeln schlagen und wachsen; nicht mehr allein – wie im Tod – sondern lebendig als Mensch unter Menschen. / RB

___________________________________________

Richard Beauvais hat den Text 1964 geschrieben, als er bei „Daytop“ gearbeitet hat, einer Einrichtung für Drogenabhängige, die das Modell der „therapeutischen Gemeinschaft“ entwickelt hat. Begründet worden war die Organisation u.a. von Dan Casriel, einem Psychiater, dessen therapeutische Praxis des „Bonding“ auch in der Klinik Herrenalb übernommen worden war. Der Name von Walter H. Lechler ist dabei für Herrenalb ebenso wichtig wie – exemplarisch –  der von Ingo Gerstenberg, der später in der Hirsenmühle gearbeitet hat. Das Klinikkonzept von therapeutischer Gemeinschaft hat Georg Reisach, ein ehemaliger Benediktinerpater,  später auch auf seine Kliniken Adula und Hochgrat übertragen.

Kleine Anmerkung am Rande: Mal wird der Text übrigens mit „Ich bin hier…“ begonnen, mal mit „Wir sind hier…“ – was dem Konzept therapeutischer Gemeinschaft sicher eher nahekommt.

Ende 2015 fusionierte Daytop Village mit Samaritan Village und änderte ihren Namen in Samaritan Daytop Village.

Schon viele Jahre früher, 1977,  gründete Beauvais zusammen mit seiner Frau Phyllis  in Bethlehem, Connecticut, eine andere therapeutische Einrichtung, „Wellspring“, in der sie einen hochstrukturierten, aber intimen Behandlungsansatz für Menschen mit schweren emotionalen, psychiatrischen und verhaltensbezogenen Problemen schaffen wollten.

Dem Nachruf von Wellspring für Richard Beauvais ist zu entnehmen, dass er nicht nur ein gläubiger Katholik gewesen sei, sondern als Benediktineroblate auch eng verbunden mit der dortigen Abtei Regina Laudis im amerikanischen Bethlehem. (wellspring.org/wellspring-co-founder-richard-beauvais-july-31-1938-january-19-2019/)

Und so schließt sich ein Kreis – zumindest für mich -, auch wenn ich die Quelle des Hildegard-Textes zunächst nicht habe ausfindig machen können. Inzwischen ist deutlich, dass der erste Teil definitiv nicht von der Benediktinerin stammt. Der Benediktineroblate Beauvais wird die ihr zugeschriebene Textstelle  allerdings vielleicht ebenso gekannt haben wie der ehemalige Benediktiner Reisach, auf dessen Klinik-Seite ich das Zitat mit den Gedanken von Hildegard von Bingen und Richard Beauvais gefunden habe.

Werner Anahata Krebber

Nachtrag:

… Das sind keine Gedanken und Worte von Hildegard. Wortwörtlich kommt bei ihr dieser Text überhaupt nicht vor und ich könnte schwierig eine Textstelle nennen, als deren Paraphrase dieses Zitat gelten könnte. …

Sr. Dr. Maura Zátonyi OSB,  Vorsitzende St. Hildegard-Akademie Eibingen e.V. / Mail vom 22. 12. 2020

 

Hier eine synoptische Darstellung der Textelemente:

Nach dem Draufklicken auf die Synopse ist der Text besser lesbar…

Zehn Jahre „Mystik aktuell“

Screenshot des ersten Beitrags

10 Jahre „Mystik aktuell – wann, wenn nicht jetzt.“ Am 11. September 2010 ist dieser Blog online gegangen. 10 Jahre Zuspruch, Anregung, Dank, Kritik, Kommentar, Herausforderung, Dialog, Begegnung …

Und seit dem 8. Juni 2017 hat „Mystik aktuell“ auch eine Dependance bei facebook: https://www.facebook.com/mystikaktuell

Herzlichen Dank allen Leserinnen und Lesern bei inzwischen über 555.555 Zugriffen sagt

Ihr

Werner Anahata Krebber

Doing Nothing – Nichts Tun in Marienstatt / Westerwald – 16. – 19. Januar 2020 / Herzliche Einladung

Zum Vergrößern bitte jeweils auf das Bild klicken

Nichts Tun …

Zwei Tage ohne Ablenkungen,
ohne Handy, Bücher, Small-Talk
und Internet. Erforschen, wie es
ist, die Zeit leer sein zu lassen,
still zu werden und dem Leben
gegenwärtig zu begegnen.

Wie es sein kann, keinen Plan zu
haben, sich treiben zu lassen, mal
hier mal dort zu sitzen, spazieren
zu gehen, ohne Ziel, ohne
Absicht, ohne Leistungsdruck.

Und zu erfahren wie die neu
gewonnene Langsamkeit Raum
schafft, Gelassenheit schenkt,
Heilung bewirkt, Batterien auflädt
und die kreativen Kräfte erneuert.

 

Seminarbeginn: Donnerstag, 16. Januar 2020 um 17 h / Ende: Sonntag, 19. Januar 2020 um 14 h
Kosten: 320,- für geringe Einkommen 290, – all inclusive

Anmeldung:
weissefeder@netcologne.de
Tel : 0049 (0) 221 2406997

„Mystik aktuell“ bei facebook

Screenshot der fb-Seite

 

Einen eigenen Auftritt bei „facebook“ hat jetzt „Mystik aktuell“. In Anlehnung an das Editorial des Blogs heißt es dort:

Wann, wenn nicht JETZT | fb-Präsenz des Mystik-Blogs von Werner Anahata Krebber

„Wann, wenn nicht Jetzt“ heißt es im Untertitel des Blogs „Mystik aktuell“. Ganz so, wie es Sosan um 600 formuliert hat: „Der Weg ist jenseits von Sprache, denn auf ihm gibt es kein Gestern, kein Morgen, kein Heute.“

Und wird es also nicht darauf ankommen, zu sehen, was Mystik mit uns Menschen Jetzt, im Dritten Jahrtausend zu tun hat? Immer wieder ist mir da in Erinnerung, was Willigis Jäger OSB vor einigen Jahren in seinem Buch „Wiederkehr der Mystik“ dazu geschrieben hat:

„Mystik ist der Grundzug jeder Religion. Jeder mystische Weg ist ein Weg heraus aus dem engen konfessionellen Religionsverständnis. Das muss nicht einen Abschied von der Religion an sich bedeuten, wohl aber sprengt und übersteigt die Mystik alles, was Religion verdinglichen und festschreiben will.“

Und da gilt eben, wie ich finde: Wann, wenn nicht Jetzt.

Werner A. Krebber

Erste Beiträge sind inzwischen online. Später mehr.

Hier geht es weiter: https://www.facebook.com/mystikaktuell/

Wortannäherungen zu Hannah Buchholz: “Schlaflos”

Schlaflos_Cover

Blick in das Tonnengewölbe des Grabes von Galla Placidia in Ravenna

http://12koerbe.de/mosaiken/rav-01.htm

Wie ein Schutzmantel
ist das Tonnengewölbe
des Grabes von Galla Placidia in Ravenna
über dem Buch „Schlaflos“
und das blaue Halbleinen des Umschlags
ist  kein Mantel des Vergessens, kein Leichentuch.
„Schlaflos“ ist nicht Grab,
„Schlaflos“ ist Auferstehung…

Das Gedicht
ist ein gefährlicher Ort,

doch für heute ist es
meine Rettung.
(h.b.)

Ungewohnte, ungewöhnliche Zeilenfälle
ziehen sich durch den Band
mit den Gedichten von Hannah Buchholz,
die sich als Geschichte in Gedichten präsentiert.
Worte, die gesetzt sind in Zeilen,
die den Leser mitnehmen.
Sie lassen teilhaben an der Geschichte
der Lyrikerin

Aber was ist
die Geschichte hinter den Gedichten?

anwesend und abwesend
gemalt aber nicht abgebildet
angezogen und abgestoßen
im ständigen raschen Wechsel
Versuche zu verstehen
und die Erfahrung von Unverständnis

Doch das einsame Kind,
das kleine wie das große,
kann auch angenommen sein erfahren.

Denn es gibt Anker, es gibt Halt.
Menschen und Orte, die Heimat werden.
In der Natur, am See, mit dem Wind, dem Regen
der Musik.
Und Atemholen gibt es

Die umhüllende Dunkelheit der Nacht
wird zu einem Schutzschirm
mit kosmischer Dimension

Aus dem im Schmerz geborenen Wort
wird Erlösung, wird Erfüllung
Aus Leere wird Fülle
aus Dunkel wird Licht

Tiefe Ein- und Ausblicke,
in einer Sprache von seltener Dichte
und Klarheit in der Suche danach
Unklarheit und Verstörtheit und Irritationen
zu verstehen, zu bearbeiten, zu verarbeiten.
zu verwandeln, zu transformieren

Welche Kraft…

Werner Anahata Krebber , 11.01.2015 / 31.07.2015

 

Mehr zu „Schlaflos“ und anderen Büchern von Hannah Buchholz hier:

https://hannahbuchholz.wordpress.com/publikationen/

Fließen, zerfließen

amflussimfluss

 

Am Fluss,
am Strom,
der Dom.

Er fließt nicht,
er zerfließt.

Nicht zu halten
sind die
Wellen der Zeit
die wegschwemmen
was nicht mehr
ins Bild passt.

Änderung,
Veränderung
ist dran.

Nicht halten,
nicht festhalten.

w.a.k.