In meines Herzens Grunde

 

In meines Herzens Grunde
Dein Nam und Kreuz allein
Funkelt all Zeit und Stunde,
Drauf kann ich fröhlich sein.
Erschein mir in dem Bilde
Zu Trost in meiner Not,
Wie du, Herr Christ, so milde
Dich hast geblut‘ zu Tod!

Text: Valerius Herberger, 1631
Melodie: Melchior Teschner, 1614
Choral aus der Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach BWV 245, den Bach
1724 arrangiert hat

Christian Morgenstern: Der einsame Christus

Foto: (c) wak

Wachet und betet mit mir!
Meine Seele ist traurig
bis an den Tod.

Wachet und betet mit mir!
Eure Augen
sind voll Schlafes –
könnt ihr nicht wachen?

Ich gehe,
euch mein Letztes zu geben –
und ihr schlaft …
Einsam stehe ich
unter Schlafenden,
einsam vollbringe ich
das Werk meiner schwersten Stunde.

Wachet und betet mit mir!
Könnt ihr nicht wachen?
Ihr alle seid in mir,
aber in wem bin ich?

Was wißt ihr
von meiner Liebe,
was wißt ihr
vom Schmerz meiner Seele?
O einsam!
Einsam!
Ich sterbe für euch –
und ihr schlaft!
Ihr schlaft!

Christian Morgenstern (1871 – 1914)

Zeit zu Handeln

Foto: (c) wak

Die Zeit zum Handeln jedesmal verpassen
Nennt ihr: die Dinge sich entwickeln lassen.
Was hat sich denn entwickelt, sagt mir an,
Das man zur rechten Stunde nicht getan?

Emmanuel Geibel (1815–1884)

Es gibt im ganzen Weltkreis nichts Beständiges

Foto: © wak

Und da ich nun schon auf hoher See dahinfahre und die vollen Segel dem Wind ausgesetzt habe: Es gibt im ganzen Weltkreis nichts Beständiges. Alles ist im Fluss, und jedes Bild wird gestaltet, während es vorübergeht. Ja, auch die Zeiten gleiten in ständiger Bewegung dahin, nicht anders als ein Strom.

Denn stillstehen kann weder der Fluss noch die flüchtige Stunde, sondern wie die Woge von der Woge getrieben wird und im Herankommen zugleich gedrängt wird und die Vorgängerin verdrängt, so fliehen die Zeiten und folgen zugleich. Stets sind sie neu; denn was vorher gewesen ist, das ist vorüber; es wird, was nicht war, und der Augenblick entsteht neu.

Publius Ovidius Naso (43 v u.Z- ca. 17 u.Z.)

Magische Wirkungen auslösen

 

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Auch heute trägt die Erde keinen Menschen, der nicht mit all seinem Denken, Reden oder Tun tagtäglich und Stunde für Stunde magische Wirkungen in seinem eigenen Leben und dem seiner Umwelt zur Auslösung bringen würde.

Bô Yin Râ / Joseph Anton Schneiderfranken (1876 – 1943)

Jetzt aktuell nachzulesen in: Magische Blätter. Monatsschrift für geistige Lebensgestaltung.CI. Jahrgang, Juni 2020, Heft 5, S. 210

Mehr hier: https://verlagmagischeblaetter.eu/

Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister…

Foto: © wak

Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister,
und bauen dich, du hohes Mittelschiff.
Und manchmal kommt ein ernster Hergereister,
geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geister
und zeigt uns zitternd einen neuen Griff.

Wir steigen in die wiegenden Gerüste,
in unsern Händen hängt der Hammer schwer,
bis eine Stunde uns die Stirnen küßte,
die strahlend und als ob sie alles wüßte
von dir kommt, wie der Wind vom Meer.

Dann ist ein Hallen von dem vielen Hämmern
und durch die Berge geht es Stoß um Stoß.
Erst wenn es dunkelt, lassen wir dich los:
Und deine kommenden Konturen dämmern.

Gott, du bist groß.

Rainer Maria Rilke, 26.9.1899, Berlin-Schmargendorf

Sehnsucht

Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: leise Dialoge
täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
die einsamste Stunde steigt,
die, anders lächelnd als die andern Schwestern,
dem Ewigen entgegenschweigt.

Rainer Maria Rilke (1875 – 1926) in: Frühe Gedichte