Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand darüber fragt, so weiß ich es; wenn ich es aber jemandem auf seine Frage erklären möchte, so weiß ich es nicht.
Heilige Poesie, Himmelan steige sie! Glänze, der schönste Stern, Fern und so weiter fern! Und sie erreicht uns doch Immer, man hört sie noch, Vernimmt sie gern.
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), in Faust. Eine Tragödie / 3. Akt: Schattiger Hain
Es steht bei dir, über dies und das dir keine Meinung zu bilden und so deiner Seele alle Unruhe zu ersparen. Denn die Dinge selbst können ihrer Natur nach uns keine Urteile abnötigen.
Marc Aurel (121 – 180) in seinen „Selbstbetrachtungen“, Sechstes Buch, Nr. 52
Reden zum Gedenken an Sophie Scholl und die „Weiße Rose“
Wo von großen geistigen Linien gesprochen wurde, schauten sie auf das Schicksal des geringsten Menschen, wo klingende Worte ertönten, blickten sie nach den Taten, wo man von Größe sprach, sahen sie aufs konkrete Kleine, wo vom Volk die Rede war, betrachteten sie den einzelnen.
Sie witterten die Hohlheit eines Idealismus, der um eines angeblich großen Fernzieles willen das Naheliegende mißachtete und das Leben ringsum zertrampelte.
So wurde das Menschliche offenbar.
Inge Scholl, „Es lebe die Freiheit“. Gedenkrede am 4. November 1945 für Sophie Scholl, Willi Graf, Hans Leipelt, Christoph Propst, Alesander Schmorell, Hans Scholl. Weiterer Redner war Romano Guardini: „Die Waage des Daseins“.
Wenn ein Vergnügen, das man erwartete und das nun eintritt, uns enttäuscht, so liegt die Ursache der Enttäuschung darin, dass man ja Zukünftiges erwartete. Und ist es nun eingetroffen, so ist es Gegenwart. Das Zukünftige müsste eintreffen, ohne aufzuhören, zukünftig zu sein. Absurdität, von der allein die Ewigkeit heilt.
Simone Weil (1909 – 1943) in Schwerkraft und Gnade, Berlin 2021, S. 26
Alles, was wir erfahren, ist eine Mitteilung. So ist die Welt in der Tat eine Mitteilung – Offenbarung des Geistes. Die Zeit ist nicht mehr, wo der Geist Gottes verständlich war. Der Sinn der Welt ist verloren gegangen. Wir sind beim Buchstaben stehengeblieben. Wir haben das Erscheinende über der Erscheinung verloren. Formularwesen.
Friedrich von Hardenberg / Novalis ( 1772 – 1801)
Aus: Die Sprache ist Delphi. Hommage an Friedrich von Hardenberg / Novalis ausgewählt von Ronald Steckel
Der vollständige Text ist hier nachzulesen:
MAGISCHE BLÄTTER BUCH V
CII. JAHRGANG FRÜHJAHR 2021
Das Wort ist ein innerer Klang. Dieser innere Klang entspringt teilweise (vielleicht hauptsächlich) dem Gegenstand, welchem das Wort zum Namen dient. Wenn aber der Gegenstand nicht selbst gesehen wird, sondern nur sein Name gehört wird, so entsteht im Kopfe des Hörers die abstrakte Vorstellung, der dematerialisierte Gegenstand, welcher im „Herzen“ eine Vibration sofort hervorruft.
Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst. München, 1912