Ein Hauch der Sache selbst

M y s t i k

Wenn es denn etwas gibt, was sich mit Mystik nicht verträgt, ist es die Geschichte der Mystik – und doch, wer will ausschließen, daß im Reden über etwas, das bloßes Darüber-Reden eigentlich verbietet, ein Hauch der Sache selbst vergegenwärtigt?

Peter Sloterdijk (* 1947) in: Wer noch kein Grau gedacht hat. Eine Farbenlehre. Berlin 2022, S. 231

Wundertief begonnenes Geisteswerk

Alles ernsthaft Angefangene muß die Menschheit auch entschlossen weiter treiben und weiter entwickeln. Täte sie’s nicht, so wäre sie ebenso unreif und leichtfertig wie die Individualität, die anfängt und liegen läßt, statt, wenn auch vielleicht erst in vielen Lebensläufen, allem in sich eine Folge und Ausbildung zu geben.
Einziglich schon von diesem Gesichtspunkt aus sollte man die Mystik z.B. nicht so verdrossen ablehnen, als ob es ein Verdienst wäre, ein so wundertief begonnenes Geisteswerk in die Rumpelkammer zu verweisen und nicht vielmehr sich dessen Weiterausbau anzunehmen, zum mindesten dankbar gewärtig zu sein.

Christian Morgenstern / 1913

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Meister Eckhart: Mystiker auf Messers Schneide

Gedenktafel am Erfurter Predigerkloster für Meister Eckhart (1260 – 1328) / Foto: (c) wak

Es ist das unvermeidbare Schicksal der Mystik und ihrer Heiligen, zwischen Aufschwung und Absturz, zwischen religiöser Klassizität und kirchlicher Verdammung wie auf Messers Schneide hingehen zu müssen. Das tragische Schicksal des Meisters selbst liegt in diesem Sachverhalt beschlossen. Der in Gott ruhende Meister Eckehart ist aber auch im geistesgeschichtlichen Sinn kein Gewesener. Er ist vielmehr mit der ganzen Wucht seiner Gotteskindschafts-Verkündigung ein kaum erst geahnter Künftiger, ein geistig erst Kommender.

Dieser allgegenwärtig in Gott ruhende Meister Eckehart hat bei Lebzeiten seine Gegner in heiliger Einfalt nicht „erkannt“. Er spricht auch heute noch zu ihnen mit jedem seiner kämpferischen Worte:

„Die ihr euch an mir wie auch immer ärgert, ihr kennt euch selbst nicht, ihr kennt mich nicht. Denn: ihr kommt im Umkreis wahren Gotterlebens gar nicht vor.“

Friedrich Alfred Schmid Noerr in seiner Einleitung zu Meister Eckehart: Vom Wunder der Seele. Eine Auswahl aus den Traktaten und Predigten. Stuttgart 1963, S. 10-11

Den Herzschlag des Weltalls vernehmen

Foto: (c) wak

Mystik ist für mich, aufmerksam sein, nicht für die weit entfernten Warums, sondern für die lebendigen Wurzeln von Dingen und Menschen ganz in der Nähe. Den Rhythmus erleben, in dem ich und die anderen und die Welt schwindelerregend zusammenfallen und dann wieder einzeln sind. Immer mehr Türen, die sich auftun und gleichzeitig immer deutlicher alleine sein im eigenen Haus. Wesensverwandschaft und unendliche Entfremdung. Neue Augen, um das Leben in anderen Zusammenhängen zu sehen. Ohren, um den Herzschlag des Weltalls zu vernehmen.

Bruno-Paul de Roeck

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Thich Nhat Hanh: Kein Weg, dem Tod zu entgehen

Fotographik: (c) wak

Es ist der natürliche Verlauf, daß ich alt werde.
Es gibt keinen Weg, dem Altern zu entgehen.

Es ist der natürliche Verlauf, daß ich Krankheiten bekomme werde.
Es gibt keinen Weg, dem Krankwerden zu entgehen.

Es ist der natürliche Verlauf, daß ich sterben werde.
Es gibt keinen Weg, dem Tod zu entgehen.

Es ist der natürliche Verlauf, daß alles woran ich hänge,
und alle, die mir lieb sind, sich verändern.
Es gibt keinen Weg, dem Getrenntwerden von ihnen zu entgehen.

Meine Taten sind mein einzig wirkliches Erbe.
Den Folgen meiner Taten kann ich nicht entgehen.
Meine Taten sind der Boden, auf dem ich stehe.

Thich Nhat Hanh (1926 – 2022) in: Der Klang des Bodhibaums

Geheimnisse der Ewigkeit erzählen

Foto: (c) wak

Die Poesie der Mystik könnte einerseits als eine temperamentvolle Reaktion auf die Vision der Wirklichkeit definiert werden: andererseits als eine Form der Prophetie. Wie es die besondere Berufung des mystischen Bewusstseins ist, zwischen zwei Ordnungen zu vermitteln, indem es in liebender Anbetung zu Gott hinausgeht und nach Hause kommt, um anderen Menschen die Geheimnisse der Ewigkeit zu erzählen, so hat auch der künstlerische Selbstausdruck dieses Bewusstseins einen doppelten Charakter. Es ist Liebesdichtung, aber Liebesdichtung, die oft in missionarischer Absicht geschrieben ist.

Evelyn Underhill (1875 – 1941) in ihrer Einleitung zu „The Songs of Kabir“, 1915

Joseph Beuys: Magie | Mystik | Mythos

Eine subjektive Annäherung in fünf Teilen

– work in progress –

Joseph Beuys annähern will ich mich in einer kleinen Serie von fünf Teilen bis zum 12. Mai 2021, seinem 100. Geburtstag.  Kern meiner subjektiven Annäherungen werden vor allem drei Bereiche sein, die für mich sein Menschsein wie sein künstlerisches Gesamtwerk prägen: Magie, Mystik und Mythos. Seine und meine niederrheinische Herkunft werden die Brücke sein, vielleicht anders als gewohnt auf den Ausnahmekünstler zuzugehen. Auch wenn meine Anmerkungen absolut unvollständig und lückenhaft sind. Bald hier also mehr.  ~ Werner A. Krebber

I. Wer war Joseph Beuys – Ein Überblick / Januar 2021

II. Magie / Februar 2021

III. Mystik / März 2021

IV. Mythos / April 2021

V. Wer war Joseph Beuys – Rückblick und Ausblick / Mai 2021

Editorial „Mystik aktuell“ / November 2020

Foto: © wak

„Wann, wenn nicht Jetzt“ heißt es im Untertitel des Blogs „Mystik aktuell“. Ganz so, wie es Sosan um 600 formuliert hat: „Der Weg ist jenseits von Sprache, denn auf ihm gibt es kein Gestern, kein Morgen, kein Heute.“

Auf dem sprituellen Weg können Texte aus der mystischen Tradition wie aus der Gegenwart Begleiter sein, die eigene Verortung neu zu buchstabieren oder zu vertiefen. Dabei greife ich für den Blog  „Mystik aktuell“ auf Quellen zurück, die weit über die eigene spirituelle Herkunft hinausgehen und interreligiös, interspirituell, interkulturell neue Zugänge ermöglichen können. Stammen sie geographisch, kulturell oder spirituell auch von weit her, so können sie Anstoß, Anregung, Ansprache sein – immer neu sind sie danach zu befragen, welche Bedeutung sie für jede/n Einzelne/n haben. Jetzt.

Als 1923 Predigten von Johannes Tauler neu herausgegeben wurden, schrieb Walter Lehmann im Vorwort: „Die Mystik ist der großartigste Versuch, die Religion an sich zu finden. Und was ist die religiöse Sehnsucht unserer Tage? Die Religion zu finden, die keiner Konfession, keiner Dogmen, keiner heiligen Stätten, Priester und Handlungen, keiner Symbole, keiner Formen und Kulte, keiner Historie bedarf, sondern autonom in der Seele lebt. Die da hinein gebannt sind in die Massenreligion der Bevormundung, sehnen sich nach der Religion ihrer eigenen Seele …“

Ganz in diesem Sinn gilt der Satz von Sosan: Wann, wenn nicht Jetzt.

Werner Anahata Krebber im November 2020

Mehr – täglich aktuell – hier: https://mystikaktuell.wordpress.com/

Zehn Jahre „Mystik aktuell“

Screenshot des ersten Beitrags

10 Jahre „Mystik aktuell – wann, wenn nicht jetzt.“ Am 11. September 2010 ist dieser Blog online gegangen. 10 Jahre Zuspruch, Anregung, Dank, Kritik, Kommentar, Herausforderung, Dialog, Begegnung …

Und seit dem 8. Juni 2017 hat „Mystik aktuell“ auch eine Dependance bei facebook: https://www.facebook.com/mystikaktuell

Herzlichen Dank allen Leserinnen und Lesern bei inzwischen über 555.555 Zugriffen sagt

Ihr

Werner Anahata Krebber

Geheimnisse durch Wort und Bild lösen

Foto: © wak

Mystik: eine unreife Poesie, eine unreife Philosophie;
Poesie: eine reife Natur;
Philosophie: eine reife Vernunft.
Poesie deutet auf die Geheimnisse der Natur und sucht sie durchs Bild zu lösen;
Philosophie deutet auf die Geheimnisse der Vernunft und sucht sie durchs Wort zu lösen (Naturphilosophie, Experimentalphilosophie);
Mystik deutet auf die Geheimnisse der Natur und Vernunft und sucht sie durch Wort und Bild zu lösen.

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832): In: Maximen und Reflexionen. Über Literatur und Leben.