… endlich alles nur Eins

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… „Wir wissen gar nicht“, fuhr Goethe fort, „was wir Luthern und der Reformation im allgemeinen alles zu danken haben. Wir sind frei geworden von den Fesseln geistiger Borniertheit, wir sind infolge unserer fortwachsenden Kultur fähig geworden, zur Quelle zurückzukehren und das Christentum in seiner Reinheit zu fassen. Wir haben wieder den Mut, mit festen Füßen auf Gottes Erde zu stehen und uns in unserer gottbegabten Menschennatur zu fühlen. Mag die geistige Kultur nun immer fortschreiten, mögen die Naturwissenschaften in immer breiterer Ausdehnung und Tiefe wachsen, und der menschliche Geist sich erweitern, wie er will, – über die Hoheit und sittliche Kultur des Christentums, wie es in den Evangelien schimmert und leuchtet, wird er nicht hinauskommen!

Je tüchtiger aber wir Protestanten in edler Entwickelung voranschreiten, desto schneller werden die Katholiken folgen. Sobald sie sich von der immer weiter um sich greifenden großen Aufklärung der Zeit ergriffen fühlen, müssen sie nach, sie mögen sich stellen, wie sie wollen, und es wird dahin kommen, daß endlich alles nur Eins ist.“

Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Sonntag, den 11. März 1832

Wundertief begonnenes Geisteswerk

Alles ernsthaft Angefangene muß die Menschheit auch entschlossen weiter treiben und weiter entwickeln. Täte sie’s nicht, so wäre sie ebenso unreif und leichtfertig wie die Individualität, die anfängt und liegen läßt, statt, wenn auch vielleicht erst in vielen Lebensläufen, allem in sich eine Folge und Ausbildung zu geben.
Einziglich schon von diesem Gesichtspunkt aus sollte man die Mystik z.B. nicht so verdrossen ablehnen, als ob es ein Verdienst wäre, ein so wundertief begonnenes Geisteswerk in die Rumpelkammer zu verweisen und nicht vielmehr sich dessen Weiterausbau anzunehmen, zum mindesten dankbar gewärtig zu sein.

Christian Morgenstern / 1913

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Mystische Abgeschiedenheit und mit der Welt eins

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Die Deutlichkeit und Bestimmtheit unserer Wahrnehmungen kommt eben von dem Zustand der Vereinzelung und Abgrenzung, der Individualisierung, in den wir den Strom der Außenwelt versetzen müssen, um seiner auf Umwegen habhaft zu werden. Und ebenso scheint es, hat die Welt uns absondern und zu Individuen schaffen müssen, um in uns aufblitzen und erscheinen zu können. Nur dass wir in dieser Absonderung und in tiefster Einkehr bei uns selbst die Welt leibhaftig und seelenhaft in uns finden und spüren. Weil die Welt in Stücke zerfallen und von sich selbst verschieden und geschieden ist, müssen wir uns in die mystische Abgeschiedenheit flüchten, um mit ihr eins zu werden.

Gustav Landauer (1870 – 1919) in seinem Text: Durch Absonderung zur Gemeinschaft (1900)

Landauer hatte auch „Meister Eckharts Mystische Schriften“ in unsere Sprache übertragen. An einer spätere Ausgabe hatte Martin Buber mitgearbeitet.

Weigere dich das Übel anzuerkennen

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Weigere dich, das Übel anzuerkennen,
verachte seine Macht, übersieh es,
richte deine Aufmerksamkeit auf etwas anderes!

Wenn dann auch die Tatsachen
trotzdem bestehen bleiben:
das Übel in ihnen besteht doch nicht mehr,
wenigstens für dich nicht.
Da sie also für dich
nur durch deine Vorstellung von ihnen
gut oder schlimm werden,
so muß die Leitung deiner Vorstellungen
deine Hauptaufgabe sein.

William James (1842-1910) in: Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit. Leipzig 1907, S. 85

Mitgefühl zerreißt die Blase des Ich

Buchcover

Wenn du nicht in der Blase der Selbstbezogenheit gefangen bist und nicht immer alles auf dich beziehst, dann hört dein Ich auf, sich bedroht zu fühlen. Du hast nicht mehr ständig das Gefühl, dich verteidigen zu müssen, du bist weniger ängstlich, und du machst dir nicht dauernd Sorgen um dich. Je mehr dieses Gefühl der Verunsicherung schwindet, desto mehr zerfallen die Mauern, die das Ich um sich herum errichtet hatte. Du wirst leichter zugänglich für andere, und du bist bereit, zu ihrem Wohl zu handeln. Das Mitgefühl zerreißt die Blase des Ich.

Matthieu Ricard (*1946)

https://www.suhrkamp.de/buch/hirnforschung-und-meditation-t-9783518260043

Regieren mit Gerechtigkeit, Wahrheit und Weisheit

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So muß einer, der da will regieren, die Herzen der Menschen sehen; und nach demselbigen Wissen zu handeln. Darum: sieht er in ihr Herz nit, so regiert er irrig und schwer, und ist dem Land übel und Schad. — Darum soll ein Obrigkeit auf drei Stücke gehen: auf Gerechtigkeit, Wahrheit und Weisheit.

Paracelsus (1493 – 1541)

Wachsamkeit üben

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Um das Wesen der eigenen Unzufriedenheit zu erkennen, um den Mechanismus der Gedanken zu erfassen, die zur Einbildung führen, muss man Wachsamkeit üben. Nur sie öffnet den Weg zur inneren Reife. Wachsamkeit ist klare Erkenntnis der Gründe jeder Unzufriedenheit und auch der unterbewussten List, ihr auszuweichen.

Frederic Lionel (1908 – 1999)