Keiner ist ohne Beichtzettel…

Foto: (c) wak

… Heimlich zugebend, dass die Bergpredigt für ihn nicht gelte, dass die vom Individuum geforderte Moral für ihn nicht gelte, dass die einfachsten altruistischen Gebote für ihn nicht gelten, will er Gott verdrängen und sich an seine Stelle setzen. Und glückt das nicht, so stellt er sich hinter das noch aufrechte Kruzifix, und der Betende ahnt nicht, vor wem er kniet. Drücke die Schwachen – aber schwenke die Fahnen! Bestrafe die Kranken – aber liebe den Präsidentensitz! Schände die Heimat – aber achte den Staat! Und keiner, keiner ist ohne Beichtzettel. …

Kurt Tucholsky (1890-1935) in: Ein Pyrenäenbuch / https://www.textlog.de/tucholsky-beichtzettel.html

Glaube, Hoffnung, Liebe und Erkenntnis

Man kann sich schlechterdings kein System und keine Wahrheit ausdenken, welche das gäben, was der Kranke zum Leben braucht, nämlich Glaube, Hoffnung, Liebe und Erkenntnis.
Diese vier höchsten Errungenschaften menschlichen Strebens sind ebensoviele Gnaden, die man weder lehren noch lernen, weder geben noch nehmen, weder vorenthalten noch verdienen kann, denn sie sind an eine, menschlicher Willkür entzogene, irrationale Bedingung geknüpft, nämlich an das Erlebnis. Erlebnisse aber können nie „gemacht“ werden. Sie geschehen, aber nicht absolut, sondern glücklicherweise relativ. Man kann sich ihnen nähern.

C. G. Jung: Die Beziehungen der Psychotherapie zur Seelsorge. Zürich, Leipzig, Stuttgart, 1932, S. 8-9

 

Ein frommes Gott wohlgefälliges Werk

Utopia von Thomas Morus / Bild: Archiv

Die Kranken pflegen sie, wie ich schon gesagt habe, mit großer Hingebung und sie unterlassen nichts, wodurch sie ihnen wieder zur Gesundheit verhelfen können, sei’s durch Arzneigebrauch, sei’s durch Befolgung einer zweckmäßigen Diät.

Die an unheilbaren Krankheiten Daniederliegenden werden auf alle Weise getröstet: man wartet sie fleißig, spricht viel mit ihnen und läßt ihnen alle möglichen Linderungsmittel angedeihen.

Wenn aber die Krankheit nicht nur unheilbar ist, sondern auch Schmerzen und Pein ohne Ende verursacht, dann ergeht von den Priestern und den obrigkeitlichen Personen die Mahnung an den Betreffenden: da er allen Obliegenheiten des Lebens nicht mehr gewachsen sei, da er den andern nur zur Last falle, sich selbst unerträglich sei und seinen eigenen Tod überlebe, so möge er sich entschließen, der verpestenden Krankheit und Seuche nicht länger ein nährender Herd zu sein, und, da ihm das Leben doch nur eine einzige Qual sei, nicht zaudern, getrost zu sterben, sondern vielmehr, froher Hoffnung voll, sich entweder selbst einem so bitterschmerzlichen Leben wie einem Kerker oder einer Folter entziehen, oder willig gestatten, dass ihn andere davon befreien. Daran werde er weise handeln, da er ja durch seinen Tod um keine Wonnen des Lebens komme, sondern nur seinem Jammer entgehe; und wenn er so den Rat der Priester und der Ausleger des Willens Gottes befolge, so begehe er ein frommes, Gott wohlgefälliges Werk.

Diejenigen, die sich solchergestalt haben überreden lassen, enden ihr Leben entweder freiwillig durch Nahrungsenthaltung oder erhalten ein Schlafmittel und finden im bewusstlosen Zustande ihre Erlösung.

Gegen seinen Willen wird keinem das Leben entzogen, aber man erweist ihm darum um nichts weniger Liebesdienste; nur wird denjenigen, die in der so erlangten Überzeugung sterben, dieses als besonders ehrenvoll angerechnet.

Wenn sich dagegen einer aus einem von den Priestern und vom Senate nicht gebilligten Gründe das Leben nimmt, so wird er weder eines Begräbnisses, noch der Feuerbestattung gewürdigt, sondern sein Leichnam wird irgendwo in einen Sumpf geworfen und schimpflich unbegraben gelassen.

Thomas Morus: Utopia (1516) – 21. Krankenpflege https://www.textlog.de/34384.html