Der Gereifte atmet die Stille

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Der Gereifte atmet die Stille, atmet sie ein und atmet sie aus. Der Mensch, von dem Stille ausgeht, weil die Einheit ihm aufging, bekundet den in ihm lebendig gewordenen Urgrund als eine formende und erlösende Kraft. Er wirkt klärend, ordnend und heilend, „ohne zu tun“. Er wirkt formend und erlösend, ganz einfach aus seinem Wesen heraus. So steht am Ende dieser Entwicklung auch nicht die geformte Persönlichkeit, die als in sich geschlossenes Ganzes einen Kosmos gefestigter Werte und Ordnungen in sich selber verkörpert und nach außen hin manifestiert, sondern vielmehr die vollkommen durchlässige Person, durch die hindurch im unendlichen Wandel der Welt der Sinn des Lebens sich kundtut.

Karlfried Graf Dürckheim (1896 – 1988) in: Japan und die Kultur der Stille

Sich lassen und die Angst vor der Welt überwinden

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Sich lassen bedeutet … vor allem ein Zulassen des Vertrauens darauf, daß man auch, wenn man sich in seinem Welt-Ich losläßt, keineswegs in ein Nichts fallen wird. Man wird aufgefangen in einer Verfassung, in der man sich nicht mehr nur auf sich und sein Können verläßt und nicht mehr nur von der Welt her und auf sie hin da ist, sondern vom Wesen her, darin man teilhat am weltüberlegenen Sein. Wer gelernt hat, sich zum Wesen hin loszulassen, hat die Angst vor der Welt überwunden.

Karlfried Graf Dürckheim (1896 – 1988) in: Der Alltag als Übung. Vom Weg der Verwandlung. Bern / Göttingen / Toronto / Seattle, 10 2001,S. 88

Das Bewusstsein in tiefere Kanäle lenken

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Alles wahrhaft Gekonnte
enthält die Chance,
das Gegenwartsbewusstsein
in tiefere Kanäle zu lenken.

Dann kann alles
zu einer Übung werden
und das vollendete Können
für das wachsame Gemüt
die Chance tiefer Erfahrungen enthalten.

Karlfried Graf Dürckheim (1896 – 1988) in: Mein Weg zur Mitte. Gespräche mit Alphonse Goettmann. Freiburg / Br., 4. Auflage 1998, S. 104

Mündigkeit wachsen lassen

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Unsere Zeit, die den Menschen immer mehr entmachtet, führt wie keine zuvor zur Erweckung des Sinnes für innere Freiheit. Die Zeit, die den Menschen in gottfernen Ordnungen entmündigt, bringt ihn mit innerer Not-Wendigkeit an das Tor jener inneren Erfahrungen, aus denen Mündigkeit wächst.

Karlfried Graf Dürckheim (1896 – 1988) in: Überweltliches Leben in der Welt. Der Mensch im Zeichen der Ganzwerdung. Aachen 1989, S. 8

Der Stille Raum geben

 

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Die Zeit, aus der wir kommen, wirkte — Jahrzehnt um Jahrzehnt in steigendem Maße — dem Segen der Stille entgegen. Die Gegenwart, in der wir leben, ist einer Kultur der Stille anscheinend vollends entgegengesetzt. Und doch waren die Menschen vielleicht noch nie so wie heute von einer Sehnsucht nach Stille erfüllt und so bereit, der Stille Raum zu geben — wenn sie nur wüßten, wo diesen Raum finden.

Karlfried Graf Dürckheim (1896 – 1988) in: Japan und die Kultur der Stille