Sich lassen und die Angst vor der Welt überwinden

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Sich lassen bedeutet … vor allem ein Zulassen des Vertrauens darauf, daß man auch, wenn man sich in seinem Welt-Ich losläßt, keineswegs in ein Nichts fallen wird. Man wird aufgefangen in einer Verfassung, in der man sich nicht mehr nur auf sich und sein Können verläßt und nicht mehr nur von der Welt her und auf sie hin da ist, sondern vom Wesen her, darin man teilhat am weltüberlegenen Sein. Wer gelernt hat, sich zum Wesen hin loszulassen, hat die Angst vor der Welt überwunden.

Karlfried Graf Dürckheim (1896 – 1988) in: Der Alltag als Übung. Vom Weg der Verwandlung. Bern / Göttingen / Toronto / Seattle, 10 2001,S. 88

Überlasse mich dem unendlichen Raum

Titelblatt der Zeitschrift / Foto: (c) wak

Mein Wille hat kein Ziel,
und ich weiß nicht,
wohin ich komme.

Ich gehe und komme
und weiß nicht,
wo ich Halt mache.

Ich wandere hin und her
und weiß nicht,
wo es endet.

Schwebend überlasse ich mich
dem unendlichen Raum…

Tschuangs-Tse / Dschuang Dsi / Zhuangzi
(Buch XXII, Nr. 5: Wo ist der Sinn)

Die Zeitschrift „Der Kunde“, deren Titelseite des 1. Jahres 1928, Nr. 9/10, zu sehen ist, war das Organ der „Bruderschaft der Vagabunden“. Ab dem Frühjahr 1927 wurde sie vom Balinger Landstreicher und Schriftsteller Gustav Brügel herausgegeben. Gregor Gog wurde erst Schriftleiter und dann Herausgeber.Der Name der Zeitschrift bezog sich auf der seit dem frühen 19. Jahrhundert belegten rotwelschen Bezeichnung Kunde für „wandernder Handwerksbursche, Bettler, Landstreicher“. Die Ausgabe kostete 30 Pfennig. Es gab aber auch den Hinweis: „Kunden, die unterwegs sind, bezahlen nichts“. Unter anderem erschienen in der Zeitschrift Texte von Franz von Assisi, Ghandi, Jesus, Knut Hamsun.

Der Linolschnitt ist von Artur Streiter. Mehr zu ihm hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Artur_Streiter

Rainer Maria Rilke: Advent

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Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt,
und manche Tanne ahnt wie balde
sie fromm und lichterheilig wird;
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit,
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.

Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)

Christian Morgenstern: Der Engel

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Wo bist du hin? Noch eben warst du da –
Was wandtest du dich wieder abwärts, wehe,
nach jenem Leben, das ich nicht verstehe,
und warst mir jüngst doch noch so innig nah.

Ich soll hinab mit dir in deine Welt,
aus der die Schauer der Verwesung hauchen,
ins Reich des Todes soll ich mit dir tauchen,
das wie ein Leichnam fort und fort zerfällt?

Wohl gibt es meinesgleichen, eingeweiht
in eure fürchterliche Daseinsstufen…
Doch ich bin’s nicht. Nur wie verworrnes Rufen
erschreckt das Wort mich Eurer Zeitlichkeit.

Laß mich mein Haupt verhüllen, bis du neu
mir wiederkehrst, so rein, wie ich dich liebe,
von nichts erfüllt als süßem Geistestriebe
und deinem Urbild wieder strahlend treu.

Christian Morgenstern (1871 – 1914)

Jacob Böhme: Einatmen ausatmen

 

Johannes Itten, Spruch von Jacob Böhme: Einatmen, ausatmen, 1922

 

Du Pendel der Welt
Einatmen Ausatmen
So schwinge du hin so schwinge du her
Du Atem der Engel so brenne und glühe
Vermehre Verstärke
Die Seele der Welt
Du Atem der Engel im Herzen werde menschlich
Bleib ewig wenn auch noch im Menschen begrenzt
Zum Herzen vom Herzen
Einatmen Ausatmen
So schwinge du ewig du Pendel der Welt

Jacob Böhme (1575 – 1624)

 

MAGISCHE BLÄTTER BUCH IV
CI. JAHRGANG WINTER 2020 / 2021
4. Quartalsausgabe November, Dezember, Januar
gebunden

HEFT 10 | November 2020
TITELTHEMA: JACOB BÖHME

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