Der ist der Herr der Erde…

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Novalis (1772 – 1801): Bergmannslied I

Der ist der Herr der Erde,
Wer ihre Tiefen mißt,
Und jeglicher Beschwerde
In ihrem Schooß vergißt.

Wer ihrer Felsenglieder
Geheimen Bau versteht,
Und unverdrossen nieder
Zu ihrer Werkstatt gellt.

Er ist mit ihr verbündet,
Und inniglich vertraut,
Und wird von ihr entzündet,
Als wär‘ sie seine Braut.

Er sieht ihr alle Tage
Mit neuer Liebe zu
Und scheut nicht Fleiß und Plage,
Sie läßt ihm keine Ruh.

Die mächtigen Geschichten
Der längst verfloßnen Zeit,
Ist sie ihm zu berichten
Mit Freundlichkeit bereit.

Der Vorwelt heilge Lüfte
Umwehn sein Angesicht,
Und in die Nacht der Klüfte
Strahlt ihm ein ewges Licht.

Er trift auf allen Wegen
Ein wohlbekanntes Land,
Und gern kommt sie entgegen
Den Werken seiner Hand.

Ihm folgen die Gewässer
Hülfreich den Berg hinauf;
Und alle Felsenschlösser,
Thun ihre Schätz‘ ihm auf.

Er führt des Goldes Ströme
In seines Königs Haus,
Und schmückt die Diademe
Mit edlen Steinen aus.

Zwar reicht er treu dem König
Den glückbegabten Arm,
Doch frägt er nach ihm wenig
Und bleibt mit Freuden arm.

Sie mögen sich erwürgen
Am Fuß um Gut und Geld;
Er bleibt auf den Gebirgen
Der frohe Herr der Welt.

Novalis / Friedrich von Hardenberg (1772 – 1801) in: Heinrich von Ofterdingen (1800-1801)
Erster Theil: Die Erwartung / Fünftes Kapitel.
https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/19Jh/Novalis/nov_ph15.html

Luise Rinser: Zeiten-Ende

Zeiten-Ende. „Heinrich von Ofterdingen“ (Novalis). Zum wievielten Mal lese ich das Buch jetzt, und jedesmal fin­de ich Neues, das mich angeht, mich und meine Zeit.

Eben finde ich in einem sonderbaren Buch, das mir ein unbekannter Leser einmal zugeschickt hat, eine Stelle, die dazu paßt:

„Nicht vor dem Untergang des Abendlandes ist die Menschheit angelangt, wie manche wähnen, sondern sein späterer höchster Aufstieg erfordert die Opfer, die der wah­re Mensch des Abendlandes heute zu beklagen hat . . . Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen vonnöten.“

Wer das schreibt, der nennt sich Bô Yin Râ, aber er ist ein Deutscher, Joseph Anton Schneiderfranken. Das Buch ist 1922 in Basel erschienen.

Zeiten-Ende. Tagebuchzitat von Luise Rinser. Das vollständige Zitat ist zu lesen in der aktuellen-Sommer-Ausgabe der „Magischen Blätter“.

MAGISCHE BLÄTTER, BUCH X
CIII. Jahrgang, Mai 2022, Heft 5 / Thema: VON JACOB BÖHME ÜBER DIE ROMANTIK ZUM BÖHME-BUND

Bestellt werden kann die Ausgabe hier: kontakt@verlagmagischeblaetter.eu Mehr hier: https://verlagmagischeblaetter.eu/monatsschrift-magische-bl%C3%A4tter

Wo gehen wir denn hin?

Novalis-Porträt von Franz Gareis / wikimedia, gemeinfrei

Wo gehen wir denn hin?

Immer nach Hause.

Novalis / Georg Philipp Friedrich von Hardenberg (1772 – 1801) in: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802

Siehe auch hier:

DIE SPRACHE IST DELPHI & NOVALIS TRÄUMT. Nach Texten von Friedrich von Hardenberg/ Novalis

https://verlagmagischeblaetter.eu/hoerbuecher/audio

Ohne Zahlen und Figuren die Welt poetisieren

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen,
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit werden gatten,
Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die ewgen Weltgeschichten,
Dann fliegt vor einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.

Novalis (Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg) 1800 / Aufzeichungen zur Fortsetzung des Heinrich von Ofterdingen, Bd. 1, 221–222