Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

Friedrich Hölderlin (1770 – 1843)

Das Gedicht „Hälfte des Lebens“ erschien zuerst im Jahr 1804 in Friedrich Wilmans Taschenbuch für das Jahr 1805.

Thich Nhat Hanh: Kein Weg, dem Tod zu entgehen

Fotographik: (c) wak

Es ist der natürliche Verlauf, daß ich alt werde.
Es gibt keinen Weg, dem Altern zu entgehen.

Es ist der natürliche Verlauf, daß ich Krankheiten bekomme werde.
Es gibt keinen Weg, dem Krankwerden zu entgehen.

Es ist der natürliche Verlauf, daß ich sterben werde.
Es gibt keinen Weg, dem Tod zu entgehen.

Es ist der natürliche Verlauf, daß alles woran ich hänge,
und alle, die mir lieb sind, sich verändern.
Es gibt keinen Weg, dem Getrenntwerden von ihnen zu entgehen.

Meine Taten sind mein einzig wirkliches Erbe.
Den Folgen meiner Taten kann ich nicht entgehen.
Meine Taten sind der Boden, auf dem ich stehe.

Thich Nhat Hanh (1926 – 2022) in: Der Klang des Bodhibaums

Alles ist Meinung…

Foto: (c) wak

Alles ist Meinung,
und diese hängt ganz von dir ab.
Räume also, wenn du willst,
die Meinung aus dem Wege,
und gleich dem Seefahrer,
der eine Klippe umschifft hat,
wirst du unter Windstille auf ruhiger See
in den sicheren Hafen einfahren.

Marc Aurel (121 – 180) in seinen „Selbstbetrachtungen“

Freiheit des anders Denkenden

Foto: © wak

 

Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der anders Denkenden. Nicht wegen des Fanatismus der „Gerechtigkeit“, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die „Freiheit“ zum Privilegium wird.

Rosa Luxemburg  (1871 – 1919) in: Die russische Revolution. Politische Schriften, Bd. 3, Frankfurt/M. 1968, S. 106-141. Hier: S. 134

Mystikos – ein Versuch

Gottes Natur
sein Wesen
und seine Gottheit
hängt daran,
dass er in der Seele
wirken muss.
Meister Eckhart, Von unsagbaren Dingen

 

Foto: © wak

mystikos:
verborgen und geheimnisvoll
und auch
undurchschaubar und unerklärbar.

Sich
und sein Selbst
verschließen.
Nicht nur die Augen.

myein ist mein ganzes Herz.

Hinein
in den Hortus Conclusus
in den verschlossenen Garten.
Leben lernen
aus der Quelle schöpfen
um den Brunnen überfliessen zu lassen.

Und dann:
Hinaus
mitten in diese Welt,
die sie braucht
die misericordia,
die Barmherzigkeit

die nicht gelingen kann
ohne zuvor
sich und sein Selbst
zu verschließen.

w.a.k.

Dieser Text ist zuerst hier erschienen: https://hannahbuchholz.wordpress.com/2015/01/08/mystikos-versuch-von-wak/

 

Fünf Gewissheiten

Foto: © wak

1. Es ist der natürliche Verlauf, dass ich alt werde.
Es gibt keinen Weg, dem Altern zu entgehen.

2. Es ist der natürliche Verlauf, dass ich Krankheiten bekomme werde.
Es gibt keinen Weg, dem Krankwerden zu entgehen.

3. Es ist der natürliche Verlauf, dass ich sterben werde.
Es gibt keinen Weg, dem Tod zu entgehen.

4. Es ist der natürliche Verlauf, dass alles woran ich hänge,
und alle, die mir lieb sind, sich verändern.
Es gibt keinen Weg, dem Getrenntwerden von ihnen zu entgehen.

5. Meine Taten sind mein einzig wirkliches Erbe.
Den Folgen meiner Taten kann ich nicht entgehen.
Meine Taten sind der Boden, auf dem ich stehe.

Thich Nhat Hanh (*1926) in: Der Klang des Bodhibaums