Geistige Kräfte wieder achten

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Dass der Dichter heute nur dann gehört wird, wenn er dem Geschmack der Menge, den Strömungen der Zeit entgegenkommt, also das Element seines besonderen Wesens, das ihn zum Dichter vorbestimmt, so gut wie preisgibt – dieser schmachwürdige Zustand kann nur geändert werden, wenn die Zeit oder vielmehr ihre Menschen gelernt haben werden, geistige Kräfte wieder zu achten. Unsere Zeit, in der die Mittelmäßigkeit, die durchschnittlichen Geister genau so triumphieren wie die Serienfabrikation oder die Vertrustung in der Wirtschaft, diese Zeit hat von der Erscheinung des Genies, das im Dichter wirksam ist, kaum etwas vernommen oder verstanden: ist es nicht so, daß man heute auf allen Gebieten, nicht nur auf dem des Sports, des Glaubens ist, jedermann könne durch Training und abermals durch Training zur Höchstleistung sich hinauftrainieren? Von Berufung und Talent oder gar Genie weiß man nur noch wie vom Hörensagen.

„Der Dichter und seine Zeit“ von Hermann Stehr im Jahr 1929. Erschienen in: Vom Geheimnis des Jenseits im Diesseits, Brentano Verlag, Stuttgart, 1960

Der vollständige Text ist hier nachzulesen:

MAGISCHE BLÄTTER
CI. JAHRGANG HERBST 2020
3. Quartalsausgabe August, September, Oktober, gebunden
ISBN.Nr. 978 -3-948594-03-9

HEFT 9 |  Oktober 2020

https://verlagmagischeblaetter.eu/monatsschrift/magische-blaetter

Bestellt werden können die Magischen Blätter hier: kontakt@verlagmagischeblaetter.eu

 

Wieviel Engel sitzen können auf der Spitze einer Nadel…

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Wieviel Engel sitzen können
auf der Spitze einer Nadel –
wolle dem dein Denken gönnen,
Leser sonder Furcht und Tadel!

„Alle!“ wirds dein Hirn durchblitzen.
„Denn die Engel sind doch Geister!
Und ein ob auch noch so feister
Geist bedarf schier nichts zum Sitzen.“

Ich hingegen stell den Satz auf:
Keiner! – Denn die nie Erspähten
können einzig nehmen Platz auf
geistlichen Lokalitäten.

Christian Morgenstern (1871 – 1914)
in seinem Gedicht „Scholastikerprobleme I“

 

Mehr zu Doing Nothing, Engeln und Mystik am 16. Februar 2020 hier: https://mystikaktuell.wordpress.com/2019/12/11/doing-nothing-engel-und-mystik-mystik-sonntag-am-16-februar-2020-herzliche-einladung/

 

Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister…

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Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister,
und bauen dich, du hohes Mittelschiff.
Und manchmal kommt ein ernster Hergereister,
geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geister
und zeigt uns zitternd einen neuen Griff.

Wir steigen in die wiegenden Gerüste,
in unsern Händen hängt der Hammer schwer,
bis eine Stunde uns die Stirnen küßte,
die strahlend und als ob sie alles wüßte
von dir kommt, wie der Wind vom Meer.

Dann ist ein Hallen von dem vielen Hämmern
und durch die Berge geht es Stoß um Stoß.
Erst wenn es dunkelt, lassen wir dich los:
Und deine kommenden Konturen dämmern.

Gott, du bist groß.

Rainer Maria Rilke, 26.9.1899, Berlin-Schmargendorf