Wir wissen nichts von diesem Hingehn…

Fotographik (c) wak

Wir wissen nichts von diesem Hingehn, das
nicht mit uns teilt. Wir haben keinen Grund,
Bewunderung und Liebe oder Hass
dem Tod zu zeigen, den ein Maskenmund

tragischer Klage wunderlich entstellt.
Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen.
Solang wir sorgen, ob wir auch gefielen,
spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt.

Doch als du gingst, da brach in diese Bühne
ein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spalt
durch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne,
wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald.

Wir spielen weiter. Bang und schwer Erlerntes
hersagend und Gebärden dann und wann
aufhebend; aber dein von uns entferntes,
aus unserm Stück entrücktes Dasein kann

uns manchmal überkommen, wie ein Wissen
von jener Wirklichkeit sich niedersenkend,
so dass wir eine Weile hingerissen
das Leben spielen, nicht an Beifall denkend.

Rainer Maria Rilke (1875 – 1926), 24.1.1907, Capri in: Neue Gedichte

Demenz

Foto: © wak

Glatt geblieben
nur wenige Steine
in der Mauer
der Erinnerung.

Heraus gefallen
aus der Mauer
Stück für Stück
Brocken des Gedächtnisses.

Nicht mehr greifbar
nicht zurückholbar

w.a.k.

Hannah Buchholz: Meine alte Angst

Meine alte Angst
erscheint, trumpft auf, verschwindet!
Dann kehrt sie zurück!

*

Sie kommt und sie geht –
wann und wie es ihr gefällt –
meine alte Angst!

*

Kommst oder gehst du?
frage ich sie. Mal sehen!
erwidert die Angst.

*

Unberechenbar
ist das Wesen meiner Angst.
Unberechenbar!

*

Mal groß, mal kleiner –
kommt und geht sie wieder –
meine alte Angst.

*

Geh doch dort hin,
wo der Pfeffer wächst! rufe ich
ihr zu, meiner Angst!

*

Hört sie mich denn nicht?
Nein! Schon ist sie verschwunden –
meine alte Angst!

Hannah Buchholz / 24.10.2018

 

Mehr wunderbare, tiefgehende, berührende Gedichte von ihr hier: https://hannahbuchholz.wordpress.com/

Medien: Quote machen und Recht haben

Ich sage: Nein, die Presse lügt nicht! Sie hält sich – fast immer – strikt an die Wahrheit. Das Problem ist nur, dass die Wahrheit um einiges undurchschaubarer ist, als ihre Darstellung in den Medien, die vor allem eines wollen: Der Mehrheit gefallen. Sie nicht überfordern. Quote machen. Und dazu noch Recht haben. Wie das geht, ist klar. Journalisten reduzieren die Komplexität der Ereignisse und kochen mit Gefühlen. Moralisieren ist leichter als Zusammenhänge erklären.

Wolfgang Herles im „Deutschlandradio“: Medien zwischen Skepsis und Moral

http://www.deutschlandradiokultur.de/die-wahrheit-der-luegenpresse-medien-zwischen-skepsis-und.1005.de.html?dram:article_id=337604