Gib Deinen Frieden

Engel von HAP Grieshaber – Holzschnitt / Foto: (c) wak

Gib Deinen Frieden, oh Herr,
der vollkommen und ewig ist, auf dass unsere Seelen Frieden ausstrahlen mögen.

Gib Deinen Frieden, oh Herr,
auf dass unser Denken, Sprechen und Handeln in Einklang sein möge.

Gib Deinen Frieden, oh Herr,
auf dass wir zufrieden und dankbar sein mögen, für Deine reichlichen Gaben.

Gib Deinen Frieden, oh Herr,
auf dass wir inmitten unseres weltlichen Streites uns Deiner Seligkeit erfreuen mögen.

Gib Deinen Frieden, oh Herr,
auf dass wir alles ertragen, alles erdulden mögen, im Gedanken an Deine Gnade und Barmherzigkeit.

Gib Deinen Frieden, oh Herr,
auf dass unser Leben dem Göttlichen Bilde entsprechen möge und alle Dunkelheit in Deinem Lichte vergehe.

Gib Deinen Frieden, oh Herr,
unser Vater und Mutter, auf dass wir, Deine Kinder auf Erden, uns vereinigen in einer einzigen Familie.

Amen

Hazrat Inayat Khan (1882 – 1927)

Gefunden habe ich dieses Friedensgebet hier: https://www.sufismus.ch/friedensgebet.php

Lindernde Salbe für innere Risse

Skulptur von Wilhelm Lehmbruck / Foto: (c) wak

Wenn wir mit den brüchigen Instrumenten der Analyse in uns stochern und bohren, können wir uns schwersten Schaden zufügen. Einzig die Stimme innigen Gebets kann diesen ernsthaften inneren Rissen lindernde Salbe auftragen und ihnen die Gifte des Schmerzes entziehen. In Erfahrung zu bringen, was zum Zeitpunkt einer solchen Verletzung genau geschah, kann eine große Hilfe bedeuten; kennen wir ihre Ursachen, wird uns auch die innere Struktur der Wunde klarer. Echte Heilung aber ist eine ganz andere Sache. Wie alle großen Ereignisse der Seele, erreicht sie uns aus einer Richtung, die wir weder voraussehen noch ahnen können.

John O’Donohue ( 1954 – 2008)

Mehr spirituelle Impulse täglich hier: https://mystikaktuell.wordpress.com/

Mystik des aufblühenden Lotus

Lotus / Foto: (c) wak

Die Lehre des Dschuang Dsi ist groß, sie ist umfassend und mehr als das, sie ist beglückend. Sie erfaßt die Welt und vernichtet sie nicht. Sie erkennt das Böse und leugnet es nicht. Sie weiß, daß der Mensch böse ist von Urbeginn, und glaubt doch an ihn, denn was wäre der Sinn des Lebens eines Weisen, wenn nicht die Erziehung? Sie begnügt sich nicht mit der sichtbaren Welt, die zu ermessen und zu messen ist, sondern er nimmt mystischen Aufschwung in das unbegrenzte und nie zu ermessende Reich. Aber das ist keine Mystik des müden Unterganges, sondern die des aufblühenden Lotus, der aufgehenden Sonne, des aufrauschenden, unbeschreiblich mächtigen, unbeschreiblich freudigen Vogels Rockh.

Das höchste und tiefste, das dieser Mensch der Vorzeit uns zu geben hat, ist eben diese Vereinigung des Tiefsten mit dem Höchsten. Es ist eine Religion der Versöhnung, nicht auf dem Boden eines Dogmas, also auch nicht auf dem Boden des ewig unerfüllbaren: Liebet einander, sondern durch den Weg, den er jedem zu (seinem) innersten Erlebnis, zum Sinn des Lebens führen will. Dann gehen alle Farben ein in den unwandelbaren Regenbogen der Vereinigung. Er ist der einzige Weltgelehrte, der die Weltanschauung nicht durchsetzen, sondern alle Weltanschauungen zur Ruhe bringen will. Keine Zeit konnte so dürsten nach der Ruhe und der Vereinigung wie die unsere. Und unsere Zeit, kann man ihr auch nachsagen, wieviel man will und wieviel sie verdient, sie hat viel gelitten; und hier, in der Freude des lichten Ostens, könnte sie Heilung finden; wenn irgendwie und irgendwo, so im südlichen Blütenland.

Ernst Weiß  (1882 – 1940) in seinem Essay „Von Chinas Göttern“

Atmen, das unsichtbare Gedicht!

Foto: (c) wak

Atmen, das unsichtbare Gedicht!
Immerfort um das eigne
Sein rein eingetauschter Weltraum. Gegengewicht,
in dem ich mich rhythmisch ereigne.

Einzige Welle, deren
allmähliches Meer ich bin;
sparsamstes du von allen möglichen Meeren, –
Raumgewinn.

Wieviele von diesen Stellen der Räume waren schon
innen in mir. Manche Winde
sind wie mein Sohn.

Erkennst du mich, Luft, du, voll noch einst meiniger Orte?
Du, einmal glatte Rinde,
Rundung und Blatt meiner Worte.

Rainer Maria Rilke (1875 -1926) in: „Sonette an Orpheus, Zweiter Teil“, 1922

Die gesamte Schöpfung existiert in dir…

Foto: (c) wak

Die gesamte Schöpfung existiert in dir, und alles, was in dir ist, existiert auch in der Schöpfung. Es gibt keine Grenze zwischen dir und einem Gegenstand, der dir ganz nahe ist, genauso wie es keine Entfernung zwischen dir und sehr weit entfernten Gegenständen gibt. Alle Dinge, die kleinsten und größten, die niedrigsten und höchsten sind in dir vorhanden als ebenbürtig. Ein einziges Atom enthält alle Elemente der Erde. Eine einzige Bewegung des Geistes beinhaltet alle Gesetze des Lebens. In einem einzigen Tropfen Wasser findet man das Geheimnis des endlosen Ozeans. Eine einzige Erscheinungsform deiner selbst enthält alle Erscheinungsformen des Lebens überhaupt.

Khalil Gibran (1883-1931)

Die Parteien abschaffen…

Simone Weil: Radikale Kritikerin des Parteiensystems | Bild: Archiv

Die Parteien sind ein fabelhafter Mechanismus, der bewirkt, dass über ein ganzes Land hinweg nicht ein einziger Geist seine Aufmerksamkeit der Anstrengung widmet, in den öffentlichen Angelegenheiten das Gute, die Gerechtigkeit, die Wahrheit zu erkennen. Daraus ergibt sich – von ganz wenigen Zufällen abgesehen -, dass nur Maßnahmen beschlossen und durchgeführt werden, die dem Gemeinwohl, der Gerechtigkeit und der Wahrheit entgegenstehen. Vertraute man die Organisation des öffentlichen Lebens dem Teufel an, er könnte nichts Tückischeres ersinnen.

Simone Weil ( 1909 – 1943) in: Anmerkung zur generellen Abschaffung der politischen Parteien. Aus dem Französischen von Esther von der Osten. Diaphanes Verlag, Zürich, Berlin 2009

Unser Dasein annehmen

 

Foto: © wak

 

Wir müssen unser Dasein so weit, als es irgend geht, annehmen; alles, auch das Unerhörte, muß darin möglich sein. Das ist im Grunde der einzige Mut, den man von uns verlangt: mutig zu sein zu dem Seltsamsten, Wunderlichsten und Unaufklärbarsten, das uns begegnen kann. Daß die Menschen in diesem Sinne feige waren, hat dem Leben unendlichen Schaden getan; die Erlebnisse, die man «Erscheinungen» nennt, die ganze sogenannte «Geisterwelt», der Tod, alle diese uns so anverwandten Dinge, sind durch die tägliche Abwehr aus dem Leben so sehr hinausgedrängt worden, daß die Sinne, mit denen wir sie fassen könnten, verkümmert sind. Von Gott gar nicht zu reden. …

Brief von Rainer Maria Rilke an Franz Xaver Kappus, 12. August 1904

Sprachloses „Oh“…

 

Foto: © wak

So reicht auf Erden
nichts höher als unser sprachloses „Oh“…
Auf einem einzigen Ton,
vielfach gewendet, klingt und zittert Erleben.
Seufzer der Erfüllung
und Seufzer der Entbehrung
lauten stets gleich.
Oh heißt das Staunen.

Botho Strauß (* 1944)

Wieviel Engel sitzen können auf der Spitze einer Nadel…

Foto: © wak

Wieviel Engel sitzen können
auf der Spitze einer Nadel –
wolle dem dein Denken gönnen,
Leser sonder Furcht und Tadel!

„Alle!“ wirds dein Hirn durchblitzen.
„Denn die Engel sind doch Geister!
Und ein ob auch noch so feister
Geist bedarf schier nichts zum Sitzen.“

Ich hingegen stell den Satz auf:
Keiner! – Denn die nie Erspähten
können einzig nehmen Platz auf
geistlichen Lokalitäten.

Christian Morgenstern (1871 – 1914)
in seinem Gedicht „Scholastikerprobleme I“

 

Mehr zu Doing Nothing, Engeln und Mystik am 16. Februar 2020 hier: https://mystikaktuell.wordpress.com/2019/12/11/doing-nothing-engel-und-mystik-mystik-sonntag-am-16-februar-2020-herzliche-einladung/