Lebendige Sprache des Teilnehmers

Gedenktafel am Erfurter Predigerkloster für Meister Eckhart (1260 – 1328) / Foto: (c) wak

Die Texte von Meister Eckhart bieten ein wunderbares Beispiel. In seinem Schreiben geht es nicht um das Göttliche. Es hat nichts von der Schlacke der soziologischen Reportage. Es ist nicht das Abbild eines Beobachters zweiter Ordnung. Es ist die lebendige Sprache des Teilnehmers. In der zeitgenössischen Kultur hat die Beobachtung und ihre einfachen Ideologien die Partizipation und ihre Erforschung als primäre Art des Seins ersetzt. Die Texte von Eckhart sind verdichtet und gespannt. Du fängst an, Eckhart zu lesen und nach einer Weile wirst du feststellen, dass der Text dich liest.

John O’Donohue (1956 – 2008)

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Erkenne die Wahrheit in dir

Schopenhauer-Foto von Johann Schäfer (1855) / wikimedia

Erkenne die Wahrheit in Dir, erkenne Dich selbst in der Wahrheit: und siehe! im selben Augenblick wirst du die lange vergebens gesuchte, sehnsüchtig geträumte Heimath genau im Ganzen und in jedem Einzelnen zu deiner Verwunderung erkennen in dem Ort, der dich gerade dann umgiebt: dort berührt der Himmel die Erde.

Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) in: Neue Paralipomena, Kapitel 21

Gehe den geraden Weg

Foto: (c) wak

Betrachte alles naturgemäße Reden und Tun als deiner würdig. Lass dich also durch keine darauf folgenden Vorwürfe oder das Gerede anderer beeinflussen, vielmehr, wenn etwas gut ist zu tun oder zu sagen, so halte es deiner nicht für unwürdig. Jene haben eben ihren eigenen Sinn und folgen ihrer eigenen Neigung. Danach schaue dich nicht um, sondern gehe den geraden Weg und folge deiner eigenen und der gemeinsamen Natur. Beide haben nur einen Weg.

Mark Aurel (121 – 180) in: Selbstbetrachtungen. Fünftes Buch, Nr. 3

Weigere dich das Übel anzuerkennen

Foto: (c) wak

Weigere dich, das Übel anzuerkennen,
verachte seine Macht, übersieh es,
richte deine Aufmerksamkeit auf etwas anderes!

Wenn dann auch die Tatsachen
trotzdem bestehen bleiben:
das Übel in ihnen besteht doch nicht mehr,
wenigstens für dich nicht.
Da sie also für dich
nur durch deine Vorstellung von ihnen
gut oder schlimm werden,
so muß die Leitung deiner Vorstellungen
deine Hauptaufgabe sein.

William James (1842-1910) in: Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit. Leipzig 1907, S. 85

Ich sehe dich in tausend Bildern

An einer Fassade in Wittenberg/ Foto: (c) wak

Ich sehe dich in tausend Bildern,
Maria, lieblich ausgedrückt,
Doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt.

Ich weiß nur, daß der Welt Getümmel
Seitdem mir wie ein Traum verweht,
Und ein unnennbar süßer Himmel
Mir ewig im Gemüte steht.

Novalis / Friedrich von Hardenberg (1772 – 1801) in „Geistliche Lieder“

Mitgefühl zerreißt die Blase des Ich

Buchcover

Wenn du nicht in der Blase der Selbstbezogenheit gefangen bist und nicht immer alles auf dich beziehst, dann hört dein Ich auf, sich bedroht zu fühlen. Du hast nicht mehr ständig das Gefühl, dich verteidigen zu müssen, du bist weniger ängstlich, und du machst dir nicht dauernd Sorgen um dich. Je mehr dieses Gefühl der Verunsicherung schwindet, desto mehr zerfallen die Mauern, die das Ich um sich herum errichtet hatte. Du wirst leichter zugänglich für andere, und du bist bereit, zu ihrem Wohl zu handeln. Das Mitgefühl zerreißt die Blase des Ich.

Matthieu Ricard (*1946)

https://www.suhrkamp.de/buch/hirnforschung-und-meditation-t-9783518260043

Alle Dinge in deiner Welt

Foto: (c) wak

Der Regen hat aufgehört, die Wolken haben sich verzogen,
das Wetter ist wieder klar.
Wenn dein Herz geläutert ist,
sind alle Dinge in deiner Welt geläutert.
Lass diese flüchtige Welt sein, lass dich Selbst sein.
Dann werden dich der Mond und die Blumen
auf dem großen Weg begleiten.

Ryokan (1758 – 1831)